Antrag / Anfrage / Rede
Digitaler Behördenfunk TETRA-BOS
Sehr geehrter Herr Oberbürgermeister Dr. Netzer.
Europaweit soll der Behördenfunk (Polizei, Feuerwehr, Rettungskräfte, Zoll usw.) auf Digitalfunk umgestellt werden. Dafür gibt es unterschiedliche technische Systeme. Deutschland hat sich vor 10 Jahren für das damals schon veraltete System TETRA entschieden.
Mir ist bekannt und bewusst, dass die Einführung des digitalen Einsatzfunks für Behörden und Organisationen mit Sicherheitsaufgaben (BOS) durch die Bundes- bzw. Landesregierung verbindlich festgelegt wurde. Mir ist auch klar, dass die Kommunen keinen Handlungsspielraum besitzen. Mir ist auch bekannt, dass der Bauausschuss im Dezember 2010 den beiden Standorten im Stadtgebiet zugestimmt und sich im Februar 2011 ein weiteres Mal mit dem Thema befasst hat. Bei beiden Sitzungen waren weder die Problematik der Einsatzfähigkeit / Einsatzbereitschaft / Sicherheit und der Funktionsfähigkeit bekannt; noch waren die Kosten welche auf die Kommunen zukommen können bekannt.
Auf diese Problematik haben sowohl der Bayerische Gemeindetag, der Bayerische Städtetag, der Bayerische Landkreistag und der Landesfeuerwehrverband Bayern in einem gemeinsamen Schreiben vom 28.06.2011 an Staatssekretär Eck, Bayerisches Staatsministerium des Innern, aufmerksam gemacht und ihre „wesentlichen Bedenken“ zur Einführung des BOS-Digitalfunks zusammengefasst und darauf hingewiesen, dass aus ihrer Sicht „noch viele Probleme zu lösen sind“. In der erst Mitte August erfolgten Stellungnahme hat Staatssekretär Eck allerdings viele Fragen offen gelassen bzw. unvollständig beantwortet. So wurde auf die Frage nach den Kosten, die den Kommunen entstehen werden nur eine vage Antwort gegeben. Offen blieb auch wer bezahlt beispielsweise:
• die Umrüstung der Feuerwehrautos,
• der Feuerwehr,
• der Integrierten Leiststellen usw. mit Endgeräten.
• Wer kommt für die Kosten der Schulung des Personals auf?
• Wer trägt die Kosten für als notwendig erachtete Updates der Software sowie für neue Geräte?
Ziel der Einführung des neuen Funks ist es doch, dass die Blaulichtorganisationen
schnellstmöglich ein funktionsfähiges und abhörsicheres Kommunikationssystem erhalten. Allerdings wurde bereits jetzt schon festgestellt, dass der geplante und im Aufbau begriffene TETRA-Funk nicht annähernd den Anforderungen dieser Organisationen in „Großschadenslagen“ gerecht wird.
So musste der Versuchsbetrieb von TETRA in München 2/2011 abgebrochen werden, weil ein „Fehler der Priorität 1“ auftrat. In Hamburg musste TETRA nach einigen Tagen wegen technischer Probleme abgeschaltet werden. Die bayrische Bergwacht lehnt 2011 TETRA ab und baut ihr analoges BOS-Netz aus. Das TETRA System in Holland fällt regelmäßig zwischen 5 Minuten und 1,5 Stunden aus. Die Feuerwehr hat dort wieder neue analoge Funkgeräte angeschafft, weil im Katastrophenfall TETRA komplett versagt.
Die Verschlüsselung wurde 2011 erneut geknackt, TETRA ist somit nicht abhörsicher.
Der deutsche Bundestag (Ausschuss für Technologiefolgeabschätzung) schreibt 2011, dass TETRA ein Rückschritt in Sachen Unabhängigkeit im Katastrophenfall ist.
Das Bundesamt für Bevölkerungsschutz bestellte vor kurzem 500 analoge BOS Funkgeräte neusten Typs und hielt sich eine Option zum Erhalt weiterer 660 Geräte offen. Es hält TETRA also für untauglich.
Alle Leistungsmerkmale, die fälschlicherweise TETRA zugeschrieben werden, sind seit über 10 Jahren im analogen Funk möglich. Dazu gehören eine Verschlüsselung für mehr Abhörsicherheit, die GPS-Ortung mit Notruffunktion, und die VOCODE-Funktion, die Umgebungsgeräusche herausfiltert. Dies alles ist mit einem Bruchteil der Kosten von TETRA möglich.
Im Technikfolgenabschätzungsprojekt „Gefährdung und Verletzbarkeit moderner Gesellschaften - am Beispiel eines großräumigen und lang andauernden Ausfalls der Stromversorgung“ des Deutschen Bundestages (Drucksache 17/5672 vom 27.04.2011, siehe dip21.bundestag.de/dip21/btd/17/056/1705672.pdf ) wird klar auf die große und gegenüber Analog deutlich größere Gefahr durch das TETRA-BOS-Funksystem bei Stromausfall hingewiesen (Seiten 5/13/43: „Jedoch bedeutet die Modernisierung des BOS-Funks unter dem Gesichtspunkt der Stromabhängigkeit eine Erhöhung der Vulnerabilität bei einem Stromausfall. Während die analogen Relaisstationen noch über eine Notstromversorgung von vier bis acht Stunden verfügten, sind die Basisstationen im neuen System nur noch auf eine batteriebasierte Überbrückung von zwei Stunden ausgelegt“). Auch mit TETRA (in der in Deutschland projektierten Architektur) könnte der Funk aller Einsatzkräfte in Katastrophenfällen versagen: Sturm, Schneechaos, Hochwasser = >
Stromausfall.
Für mich sind das wesentliche neue Erkenntnisse. Ich beantrage daher, dass der Stadtrat einen Beschluss herbeiführen möge, der die Bayerische Staatsregierung auffordert erst dann mit dem Aufbau und der Einführung des BOS-TETRA Funks zu beginnen, wenn die in dem angeführten Schreiben des Bayr. Städtetags usw. vom 28.06.2011 offenen Fragen umfassend beantwortet sind und die technische Tauglichkeit und Sicherheit des Funksystems nachgewiesen ist und die gesamte Finanzierung aufgezeigt werden kann.
Abschließend möchte ich betonen, dass es nicht darum geht etwas zu verhindern, sondern darum, dass ein funktionsfähiges System, dessen Finanzierung und Folgekosten geregelt sind, eingeführt wird.
Mit freundlichen Grüßen
Helmut Hitscherich